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Themen: Forschung


Das Konzept „Nachhaltigkeit“ ist und bleibt in aller Munde, ein Schlagwort sonder gleichen. Seit einiger Zeit beschäftigen sich Forscher, Politiker und Aktivisten mit der Frage, was Nachhaltigkeit im digitalen Kontext zu bedeuten hat. Einen breiten Konsens über eine schlüssigen Definition (z.B. Dapp 2010) gibt es derzeit nicht – allerdings jedoch eine weit verbreitete Erkenntnis, dass eine Beschäftigung damit vonnöten ist. Entsprechend zu verstehen ist auch die Bezeichnung „Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit“, deren Aktivitäten dieser Blog begleitet.

Um die intensiven Arbeiten in diesem Umfeld weiter abzustützen, drängt sich ein Diskurs um eine allgemeingültige Definition „digitaler Nachhaltigkeit“ auf. Den folgenden knapp gefassten Entwurf in 5 Punkten und 3 Fragen stellen wir hier deswegen zur Diskussion.

Wir sagen:

  1. Der Begriff Nachhaltigkeit bezieht sich auf zyklische Systeme.
  2. Prozesse in diesen Systemen sind dann nachhaltig, wenn sie im Laufe des aktuellen Zyklus die zur Verfügung stehenden Optionen (Ressourcen) für die kommenden Zyklen maximieren.
  3. Solche Zyklen sind üblicherweise z.B. die Folge von Generationen oder die Folgen Saat und Ernte. In einer digitalen Welt bestehen solche Zyklen ebenfalls. Sie folgen aufeinander nicht nur in schneller Abfolge, laufende Innovation verkürzt diese Zyklen zudem fortlaufend.
  4. Digitale Ressourcen haben die Eigenschaft, dass die Grenzkosten für ihre verlustfreie Vervielfältigung und Verteilung rasch gegen null tendieren. Maximierung der Optionen heisst deswegen nicht mehr zwingend Regulierung des Verbrauchs, sondern oft Maximierung der Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeiten.
  5. Digitale Nachhaltigkeit bedeutet entsprechend, digitale Inhalte und Güter wie Software so zu entwickeln, zu verteilen, zu beschaffen und
    einzusetzen, dass der Entscheidungsspielraum in künftigen Technologiezyklen maximal erhalten bleibt.

Und wir fragen:

  1. Offene Standards sind zum Beispiel digital nachhaltig, denn sie stellen sicher, dass auf Daten heute wie morgen durch beliebige Software zugegriffen werden kann. Korrekt?
  2. Open Source Software ist in aller Regel digital nachhaltig, weil die fundamentalen „vier Freiheiten“ nachhaltig Entscheidungsspielraum
    offen halten?
  3. Ist entsprechend „Green IT“ kein Teilgebiet digitaler Nachhaltigkeit, da diese die ökologische Nachhaltigkeit betrifft? Gilt dies ebenso für andere Bestrebungen, IT im Sinne von sozialer/ökologischer/ökonomischer Nachhaltigkeit einzusetzen, wo ist dann Open Government Data einzuordnen?

Besten Dank für Stellungnahmen im Kommentarfeld zu diesem Artikel, danke für die Mitarbeit gerade bei dieser gedanklichen Grundlagenarbeit.

7 Kommentare

  • A) Ja, denn es kann sowohl die Bedürfnisse der Lebenden wie auch zukünftiger Generationen erfüllen
    B) Ebenfalls ja.
    C1) „Digitale Nachhaltigkeit“ ist der Einbezug einer bestimmten Perspektive im Bereich Nachhaltigkeit. „Green IT“ steht bei dieser Perspektive bisher nicht im zentralen Fokus, sollte aber folgerichtig mitgedacht werden (bzw. man sollte sinnigerweise von „Nachhaltiger IT“ reden). Sofern nachfolgenden Generationen nicht mehr die Möglichkeit offen steht die Geräte zur Verarbeitung der digitalen Daten zu verwenden bzw. zu erstellen, würde auch das zentrale Anliegen der „digitalen Nachhaltigkeit“ ad absurdum geführt.
    C2) Open Government Data kann sowohl vom Blickwinkel der materiellen Welt, wie auch der immateriellen Welt gesehen werden. Das Projekt Nachhaltigkeit benötigt den Einbezug transparenter und rationeller Entscheidungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene; diese Entscheidungen basieren wiederum auf Vermutungen, die sich aufgrund von Beobachtungen ergeben; entsprechend sollten solche Daten möglichst weit offen stehen. Auf der immaterialen Ebene (d.h. „digitale Nachhaltigkeit“) lässt sich wiederum feststellen, dass hier Daten vorliegen die wiederum digitale Ressourcen darstellen. Da diese Daten im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Vertrags zur Bildung der Institution des Staates in dessen Auftrag ohnehin erhoben werden müssen, sollte hier insbesondere darauf geachtet werden, dass eine Maximierung der Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeiten vorgenommen wird.

  • „2. Prozesse in diesen Systemen sind dann nachhaltig, wenn sie im Laufe des aktuellen Zyklus die zur Verfügung stehenden Optionen (Ressourcen) für die kommenden Zyklen maximieren.“

    Maximieren oder optimieren? „Maximieren für die kommenden Zyklen“ impliziert den Vorrang der Zukunft über das Jetzt, wohingegen Nachhaltigkeit m.E. eine ausgewogene Balance fordert -> optimieren.

    Wenn Du möchtest, könnt Ihr das Thema gerne mal im Hub Zürich (www.hubzurich.org) vorstellen. Gäbe sicherlich eine spannende Diskussion.

  • @Pat: interessant – du bringst Dinge zusammen, die ich normalerweise auch durch die Unterscheidung „Nachhaltigkeit *von* IT“ vs. „Nachhaltigkeit *mittels* IT“ auseinanderhalte – allein schon um den Arbeitsaufwand in Grenzen zu halten 🙂

    @Vincent: spontan würd ich meinen, dass die Kosten von Speicherplatz und Bandbreite gegen Null sinken, sich also mehr eine Frage der nachhaltigen Auffindbarkeit und Interpretation -sprich die Frage der Metadaten- stellt?

    @Michel: ich habe maximieren genommen, weil ich davon ausgehe, dass anders als z.B. oft in biologischen Systemen man im Digitalen leichter so arbeiten kann, dass man am Ende eines Zyklus mehr Optionen hat als davor, Netzwerkeffekte usw. Als Förster ist es ungleich schwerer, nach dem Fällen mehr Wald zu haben, dort steht die Erhaltung stärker im Vordergrund. Macht das Sinn?

    @all: Merci!

  • Ich finde den zyklischen Ansatz interessant. Die Analogie zu Saat und Ernte is treffend und aktuell. Saatgut Firmen wie Monsanto versuchen den Bauern Saatgut zu lizenzieren statt zu verkaufen und sie somit von ihrem System abhängig zu machen. Mit grossem Erfolg für die Firma und einigen Bauern, und katastrophalen Auswirkungen für andere Bauern, die sich nicht aus der Abhängigkeitsfalle befreien können, verarmen, und nicht wenige in den Selbstmord getrieben werden.
    Bei Software und Formaten ist das Prinzip dasselbe, aber es geht weniger um Leben und Tod.
    A und B finde ich zutreffend. C beschäftigt mich zwar sehr und ist enorm wichtig, aber es sind schon zwei ganz verschiedene Begriffe, die man vielleicht nicht vermischen muss.

  • @Hannes Gassert:
    Habe die Antwort erst jetzt gesehen.
    Um es nochmals zu klären: Nein, ich denke nicht, dass „Green IT“ ein Teilgebiet von „digitaler Nachhaltigkeit“ sein muss. Allerdings wird mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ ja immer ein integrativer Ansatz verfolgt, bei dem alles mitgedacht werden sollte. Es geht nicht mir darum zu urteilen ob jemand der stringent nur „digitale Nachhaltigkeit“ verfolgt; es geht mir eher darum, dass alle sich bewusst sein sollte, dass auch im Gebiet „Nachhaltigkeit von IT“ Efforts gemacht werden müssen (was sich ja nicht ausschliesst; gerade durch Patente ohne Zwangslizenzen oder fehlende Einsicht in Daten die im öffentlichen Auftrag gesammelt werden sind wiederum viele Entwicklungen blockiert). Ansonsten enden wir in einer Situation in der zwar gute offene Standards und Programme verwendet werden, aber die Hardware um sie zu betreiben aufgrund von Ressourcenknappheit nicht mehr hergestellt werden kann…

  • @Hannes Gassert:
    Habe die Antwort erst jetzt gesehen.
    Um es nochmals zu klären: Nein, ich denke nicht, dass “Green IT” ein Teilgebiet von “digitaler Nachhaltigkeit” sein muss. Allerdings wird mit dem Begriff “Nachhaltigkeit” ja immer ein integrativer Ansatz verfolgt, bei dem alles mitgedacht werden sollte. Es geht nicht mir darum zu urteilen ob jemand der stringent nur “digitale Nachhaltigkeit” verfolgt irgendetwas „nicht richtig“ macht o.ä.; es geht mir eher darum, dass alle sich bewusst sein sollten, dass auch im Gebiet “Nachhaltigkeit von IT” Efforts gemacht werden müssen (was sich ja nicht ausschliesst; gerade durch Patente ohne Zwangslizenzen oder fehlende Einsicht in Daten die im öffentlichen Auftrag gesammelt werden sind wiederum viele Entwicklungen blockiert). Ansonsten enden wir in einer Situation in der zwar gute offene Standards und Programme verwendet werden, aber die Hardware um sie zu betreiben aufgrund von Ressourcenknappheit nicht mehr hergestellt werden kann…

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