23.06.2019 - 19.3785
Stufe: Nationale Vorstösse
Stand der Beratung: Erledigt

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament Folgendes zu unterbreiten:

a. eine Studie zum Umfang des Phänomens des digitalen Analphabetismus (der zu einer wesentlichen sozialen Ausgrenzung führt);

b. eine Strategie, die sich auf diese Studie stützt und die es in Zusammenarbeit mit den Kantonen erlaubt, allfällige Lücken zu schliessen und die Ausbreitung eines solchen Phänomens zu verhindern (in Anlehnung an die Plattform „Jugend und Medien“ des BSV).

 

Begründung:

Im Bereich der Internetnutzung hört man immer wieder, dass die junge Generation, da sie einen uneingeschränkten Internetzugang hat, das Phänomen sozialer Ausgrenzung nicht kenne. Die einzige Ausgrenzung, von der man in diesem Zusammenhang spricht, ist das altersbedingte Abgehängtwerden; dieses werde aber in ein paar Jahren von selbst verschwinden, wenn die Älteren der Generation der Digital Natives Platz gemacht haben, die bezüglich der Handhabung digitaler Werkzeuge mit gleichsam angeborenen und intuitiven Fähigkeiten ausgestattet sind.

Diese Sichtweise vermischt allerdings Zugang und Anwendung. Der Zugang zu digitalen Werkzeugen allein reicht nicht, es braucht auch die nötigen Fähigkeiten, um mit diesen Instrumenten angemessen umgehen zu können. Studien zeigen denn auch, dass zwar 98 Prozent der 12- bis 17-Jährigen zu Hause uneingeschränkten Internetzugang haben; sie verwenden aber hauptsächlich digitale Werkzeuge im Unterhaltungssektor (Instagram, Snapchat, Youtube usw.). Sobald es aber um die Verwendung digitaler Werkzeuge mit erzieherischen Inhalten geht, öffnet sich die Schere der sozialen Ungleichheiten. Während die bessergestellten Schichten mittels digitaler Technologien ihr bereits umfangreiches kulturelles Kapital weiter erhöhen, beschränkt sich die Verwendung bei den benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf die Freizeitbeschäftigung. Unterschiede in der sozialen Herkunft widerspiegeln sich demnach – so die Studien – auch in der Verwendung digitaler Werkzeuge. Einzelne Online-Tools scheinen folglich einer Elite und jenen Bevölkerungsgruppen vorbehalten, die mit Blick auf die Veröffentlichung von Inhalten in den sozialen Netzwerken viel weniger aktiv sind.

Das Existieren eines solchen digitalen Grabens passt so gar nicht zur Idealvorstellung einer Generation von Digital Natives. Das Phänomen des digitalen Analphabetismus stellt ein reales gesellschaftliches Problem dar. Dies umso mehr, als bei zahlreichen öffentlichen Dienstleistungen eine Dematerialisierung stattfindet und sich der demokratische Prozess immer mehr auf die Ebene des Individuums verlagert, geradezu vorbei an der Existenz bestimmter Organisationen. Damit einher gehen viele Risiken: Die Teilnahme am demokratischen Leben könnte eingeschränkt werden, im Verkehr mit Behörden könnten neue Hürden entstehen … Es droht ein richtiggehender gesellschaftlicher Ausschluss.

 

Stellungnahme des Bundesrates vom 04.09.2019:

Der Bundesrat teilt die Ansicht des Postulanten, dass nicht nur der Zugang, sondern auch die Art der Nutzung des Internets durch Jugendliche von Bedeutung ist.

Allerdings liefern neuere Studienergebnisse keine Hinweise darauf, dass die Art der Nutzung die sozialen Unterschiede verstärkt. So ergab die James-Studie (2018) in Bezug auf die Art der Nutzung des Internets keine signifikanten Unterschiede zwischen Jugendlichen mit hohem und mit niedrigem sozioökonomischem Status. Und die deutsche Studie „Jugend/Youtube/kulturelle Bildung. Horizont 2019“ zeigt zudem auf, dass gerade Youtube-Videos nebst der reinen Unterhaltung oft auch zur Wiederholung des Unterrichtsstoffes und als Informationsquelle für die Erledigung von Hausaufgaben genutzt werden. Diese Resultate machen also deutlich, dass nicht generell ein digitaler Analphabetismus bei Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Status festgestellt werden kann und dass Plattformen oder Anwendungen, welche oft als reine Unterhaltungsmedien wahrgenommen werden, für Jugendliche durchaus auch eine bildungsrelevante Funktion haben.

Wichtig ist die Vermittlung von Medienkompetenz, damit junge Menschen in der Lage sind, das Internet sicher und gewinnbringend zu nutzen und Inhalte kritisch zu beurteilen. Diesem Aspekt wurde in der Erarbeitung der sprachregionalen Lehrpläne der obligatorischen Schule schweizweit besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Verantwortung für die Lehrpläne liegt bei den Kantonen.

Neben der Schule fällt eine zentrale Rolle in der Medienerziehung dem Elternhaus zu. „Jugend und Medien“, die nationale Plattform des Bundesamtes für Sozialversicherungen zur Förderung von Medienkompetenzen, verfolgt im Auftrag des Bundesrates das Ziel, dass Kinder und Jugendliche sicher und verantwortungsvoll mit digitalen Medien umgehen. Die primäre Zielgruppe der Massnahmen sind die Eltern. Die Chancengerechtigkeit ist bei den Arbeiten der nationalen Plattform eine Querschnittsthematik, sodass auch in Zukunft Fragen der sozialen Inklusion bzw. Exklusion mitberücksichtigt werden.

In Anbetracht der vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse und der kantonalen Zuständigkeit für die Medienkompetenzentwicklung im Rahmen der schulischen Bildung erachtet es der Bundesrat als nicht notwendig, eine Studie zum digitalen Analphabetismus und eine daraus abgeleitete Strategie zu erarbeiten.

 

Antrag des Bundesrates vom 04.09.2019:

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.