Rückblick Open Hearing BEKJ Website

Themen: Allgemein, Digitale Nachhaltigkeit, Events, Juristisches


Am 19. August 2024 veranstaltete die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit (Parldigi) ein virtuelles Open Hearing zum «Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz» (BEKJ) und zum Projekt «Justitia 4.0». Über 80 Teilnehmende nahmen an der Online-Veranstaltung teil. Die Aufnahme der Veranstaltung inkl. Diskussionsrunde ist auf BigBlueButton öffentlich zugänglich. Die gesamte Folienpräsentation kann als PDF heruntergeladen werden, die einzelnen Präsentationen sind im folgenden Text als einzelne PDF-Downloads verlinkt.

Das Projekt Justitia 4.0

Das Projekt Justitia 4.0 verfolgt das Ziel, die gesamte Schweizer Justiz zu digitalisieren. Im Mittelpunkt steht der Ersatz der heutigen Papierakten durch elektronische Dossiers, wofür das BEKJ als neue Rechtsgrundlage dient. Der Rechtsverkehr zwischen den Verfahrensbeteiligten sowie die Akteneinsicht sollen künftig in allen Verfahrensabschnitten des Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichtsverfahrens elektronisch über die zentrale Justizplattform justitia.swiss erfolgen.

Die Schlüsselvorhaben von Justitia 4.0

Jacques Bühler, Gesamtprojektleiter von Justitia 4.0, stellte die drei Hauptvorhaben des Projekts vor (PDF-Download):

  • Plattform: Seit April 2024 befindet sich die Plattform im Pilotbetrieb. Der Zugang ist derzeit nur für die Pilotbehörden und die am Pilotbetrieb teilnehmenden Anwältinnen und Anwälte geöffnet. Im August 2024 läuft bereits ein Pilotprojekt mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Fribourg; zwei weitere Piloten in den Kantonen Basel-Landschaft und Genf wurden vom Bundesamt für Justiz genehmigt. Weitere Kantone bereiten ebenfalls Pilotprojekte vor. Diese Pilotprojekte ermöglichen es, sämtliche Funktionalitäten und Verbindungen der Plattform zu testen.
  • Justizakte-Applikation (JAA): Die JAA richtet sich an Mitarbeitende und Magistratspersonen der Justizbehörden. Die Applikation wurde in Zusammenarbeit mit Österreich weiterentwickelt und steht der Schweiz vollständig zur Verfügung. Die Kantone können die Applikation ebenfalls nutzen und den Softwareentwicklern die erforderlichen Informationen bereitstellen. Schweizer Entwickler werden von den österreichischen Kollegen weitergebildet. Momentan wird die österreichische Lösung an die spezifischen Bedürfnisse der Schweiz angepasst. Die JAA wird auf Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar sein.
  • Transformation: Bühler betont, wie wichtig es ist, die Planung in diesem Bereich frühzeitig zu beginnen. Etwa zwei Jahre im Voraus müssen die neuen Abläufe organisiert werden, damit alle Beteiligten beim Inkrafttreten des Obligatoriums bereit sind. Dies gilt sowohl für die Justizbehörden als auch für die Anwaltschaft.

Perspektive des Nationalrats auf die BEKJ-Beratung

Parldigi Co-Präsidentin Min Li Marti erläuterte die Perspektive der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats im Rahmen der BEKJ-Beratungen. Sie betonte, dass dieses Geschäft anspruchsvoll sei, da es sowohl Digitalisierungsfragen als auch technische Fragestellungen umfasst. Die Kommission unterstützt die Digitalisierung der Schweizer Justiz grundsätzlich, wobei die Mitglieder das Anliegen gutheissen. Allerdings bestehen Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzung des Digitalisierungsvorhabens.

Unter anderem beschäftigte sich die Kommission mit folgenden Punkten:

  • Artikel 4: Diskutiert wurde die Frage, wie viele Plattformen tatsächlich benötigt werden. Das Gesetz ist grundsätzlich auf eine zentrale Plattform ausgelegt, lässt jedoch die Möglichkeit offen, dass auch parallele Plattformen eingerichtet werden können.
  • Zusammensetzung der Verwaltungskörperschaft: Die Kommission ist der Ansicht, dass auch die Anwaltschaft in der Körperschaft vertreten sein sollte, die für die Verwaltung der Plattform verantwortlich ist, um sicherzustellen, dass alle relevanten Nutzergruppen berücksichtigt werden.
  • Öffentlicher Zugang zum Quellcode: Ein zentrales Anliegen von Parldigi ist der öffentliche Zugang zum Quellcode. Min Li Marti betonte, dass dies als Standard für öffentliche Projekte gelten sollte.
  • Artikel 32: Hier geht es um die Zustellung von Dokumenten bei Abwesenheit einer Person oder ihres Anwalts. Zudem wurde die Problematik der Nichterreichbarkeit der Plattform im Falle eines technischen Problems besprochen.

Perspektive des Schweizerischen Anwaltverbands (SAV)

David Schwaninger brachte die Sicht des Schweizerischen Anwaltverbands (SAV) zum Projekt Justitia 4.0 und zum BEKJ ein (PDF-Download). Der SAV begrüsst grundsätzlich den obligatorischen elektronischen Dokumentenaustausch über eine zentrale Plattform, insbesondere da ähnliche Bestrebungen auf europäischer Ebene im Gange sind oder bereits umgesetzt wurden.

Aus Sicht des SAV sind jedoch vier Punkte problematisch:

  • Löschung von Metadaten: Die Metadaten der Nutzenden sollten gelöscht werden können.
  • Regelung der Alternativeingabe: Es wird gefordert, dass die Alternativeingabe von Dokumenten bei Nichterreichbarkeit der Plattform nicht nur in Papierform, sondern auch elektronisch möglich sein sollte (Art. 26 BEKJ).
  • Einheitlicher Termin: Ein einheitlicher Termin für das Inkrafttreten des Obligatoriums sowie für die Übergangsfrist wird gefordert. Die Kantone legen diesen Termin in den Übergangsbestimmungen (Art. 26a / Art. 37 BEKJ) fest, doch der SAV plädiert für einen schweizweit einheitlichen Termin.
  • Ausnahme der Schlichtungsbehörden: Der SAV fordert, dass auch Schlichtungsbehörden über die Plattform erreichbar sein müssen, um Rückschritte in der digitalen Kommunikation zu vermeiden (Art. 128b / 128c ZPO).

Nichterreichbarkeit der Plattform

Daniel Kettiger und Claudia Schreiber erläuterten den Alternativvorschlag zu Art. 26 BEKJ, der von einer Arbeitsgruppe über die Plattform IusBubble erarbeitet wurde (PDF-Download). Claudia Schreiber erklärte, dass die aktuelle Fassung zwar eine Verbesserung gegenüber der Vorlage des Bundesrates darstelle, sie jedoch aus Sicht von Advokatur und Gerichten nicht praxistauglich sei. Die Bevorzugung des Papierformats unterlaufe zudem das Ziel der Digitalisierung.

Das Hauptziel des Alternativvorschlags, so Daniel Kettiger, ist es, Art. 26 BEKJ gerichts- und anwaltsfreundlich zu gestalten. Innerhalb der gesetzten Frist sollten Dokumente oder zumindest der Nachweis ihrer Existenz elektronisch oder in Papierform eingereicht werden können, auch wenn die Plattform nicht erreichbar ist.

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