Themen: Netzneutralität


DEBATTENBEITRAG

„Netzneutralität? Bundesbern zuckt die Schultern“, so fasste inside-it.ch die Substanz der Antwort des Bundesrats auf eine parlamentarische Frage zur  Netzneutralität im Mai zusammen. Verschläft die Schweiz eine der grossen Zukunftsdebatten? Es ist zu befürchten.

Ein allererstes und einziges Mal wurde die Netzneutralität bisher im Nationalratssaal zum Thema: In der Fragestunde des Nationalrats am 30. Mai 2012. Unterdessen wird die Debatte um die Netzneutralität in vielen Ländern intensiv geführt. Google hat im Vorfeld der World Conference on International Telecommunications (WCIT-12) in Dubai gar eine Online-Petition für die Netzneutralität gestartet. Die deutsche ZEIT prognostiziert Dubai eine grosse Lobbyschlacht.

Viele Beobachter beruhigen, dass in Dubai (noch) nicht die wichtigen Würfel fallen: Immerhin pflegt die ITU ihre Entschlüsse üblicherweise einstimmig zu fassen, was angesichts der widersprüchlichen Interessen und Positionen kaum auf rasche Entscheide schliessen lässt. Allerdings geht es um viel. Zeit also, dass die Debatte um Netzneutralität auch in der Schweiz Schwung aufnimmt. Worum geht es?

Ursprünglich funktionierte das Internet auch aus technischen Gründen „netzneutral“. Es war nicht möglich, die Inhalte der einzelnen Datenpakete in Echtzeit anzuschauen, auszuwerten und gegebenenfalls zu filtern oder zu priorisieren. Mit einem Bild ausgedrückt: Wenn wir uns das Internet als Strassennetz vorstellen, werden die einzelnen Strassen zwar von unterschiedlichen Akteuren gebaut und unterhalten. Und jeder Akteur verlangt als Zugangsanbieter einen bestimmten Strassenzoll, wenn man das Strassennetz von sich zuhause über seine Seitenstrasse betritt. Ist man als Transporteur aber einmal auf dem Strassennetz drauf, so kann man überall hin fahren, ohne weitere Mautschranken.

Heute ist die sogenannte „Deep Packet Inspection“ kein Problem mehr. Netzbetreiber können jedes einzelne Datenpaket unterschiedlich behandeln – so könnte ein Netzbetreiber technisch z.B. die Videos von Youtube oder Flix priorisieren und jene von Vimeo oder von iTunes verlangsamen oder gar sperren. Oder, um im Strassenbeispiel zu bleiben: Ein Betreiber einer Autobahn zwischen Zürich und Bern könnte z.B. eine Spur nur für Transporter bestimmter Firmen offenhalten – z.B. DHL – die dafür besonders bezahlen. Oder er könnte als Zusatzgeschäft Möbel herstellen und nur Transportertn, die seine eigenen Möbel ausliefern, Zugang zur Überholspur geben. Der gesamte restliche Verkehr müsste mit der  verbleibenden Spur vorlieb nehmen.

Mit diesen Beispielen wird offensichtlich: Wer Netzneutralität fordert, fordert nicht nur ein Bürgerrecht auf diskriminierungsfreien Informationszugang ein. Sondern er setzt sich auch dafür ein, dass jene Rahmenbedingungen erhalten bleiben, welche das Internet zum Biotop für kleine und kleinste Firmen mit immer neuen Innovationen gemacht haben.

Darum braucht es aus meiner Sicht eine klare Festschreibung der Netzneutralität im neuen Fernmeldegesetz – damit wird ein Zweiklassen-Internet vermieden und grosse Zugangs-Provider können trotz vertikaler Integration keine Einschränkung fremder Angebote machen. Kritiker dieses gesetzgeberischen Eingriffs geben zu bedenken, dass auch das heutige Kartellrecht im Sinne der Essential-Facilities-Doktrin die wirtschaftliche Ausnutzung des Netzwerkmanagements zum Erstellen eines Monopols einschränke. Allerdings führt hierzu Simon Schlauri in seiner Habilitationsschrift zur Netzneutralität ein überzeugendes Gegenargument an (Schlauri 2010, S. 312):

Ein wesentliches Problem dürfte […] darin liegen, dass weder die für die Innovation im Internet bedeutenden kleinen Anwendungsanbieter noch die Endkunden die Risiken und den Aufwand eines Verfahrens zur Durchsetzung der Netzneutralität nach geltendem Recht auf sich nehmen werden.

Demgegenüber würde die explizite Festschreibung der Netzneutralität eine auch rechtlich klare Ausgangslage für alle Beteiligten schaffen.

P.S.: Spannend ist, dass es unterdessen auch Ansätze gibt, mit genau der gleichen Technologie (Deep Packet Inspection), welche nicht nur fürs Netzwerkmanagement sondern von autoritären Staaten zur inhaltlichen Filterung des Internetverkehrs genutzt wird, diese Einschränkungen auch zu umgehen.

 

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