Corina Gredig Inside IT

Themen: Bildung, Digitale Nachhaltigkeit, Kolumne, Netzpolitik


Algorithmen belohnen polarisierende Inhalte, schreibt Nationalrätin Corina Gredig, die für mehr digitale und demokratische Bildung plädiert.

Hannah Arendt, die Philosophin, die vor den Gefahren einer isolierten Öffentlichkeit und dem Verlust gemeinsamer Wirklichkeit warnte, hätte in unserer digitalisierten Gesellschaft viel zu bedenken. Algorithmen entscheiden inzwischen, was wir sehen. Wer sich online für Donald Trump interessiert, bekommt Trump – und mehr vom selben, oft ungefragt. Auf Plattformen wie Tiktok, X, Instagram und selbst in den Nachrichten-Apps traditioneller Medienhäuser wird der Algorithmus zur dominanten Entscheidungskraft: Inhalte, die kaum geklickt werden, verschwinden rasch. Was dagegen Aufmerksamkeit erregt, wird prominent platziert und vervielfältigt, wodurch Arendts Idee eines gemeinsamen öffentlichen Raums immer mehr an Substanz verliert.

Studien belegen, dass Algorithmen gezielt polarisierende und extreme Inhalte bevorzugen. Hier wird tief in der menschlichen Evolution verankertes Verhalten aktiviert: Bedrohliche Inhalte bewegen uns stärker – etwas, das in der Steinzeit unser Überleben sicherte. Laufend genährt von den Algorithmen führt dieses heute aber zu einer Überflutung mit Informationen. Bereits 46% der Schweizer Bevölkerung meiden laut einer Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich Nachrichtenangebote.

Das digitale Spiegelkabinett

Die algorithmisch getriebene Informationsauswahl verschärft die Polarisierung unserer Gesellschaft. Widersprüchliche Informationen und Argumente werden durch Filterblasen eliminiert. Stattdessen erhält jeder laufend Bestätigung der eigenen Überzeugungen. Was passiert, wenn User regelmässig mit unzutreffenden Informationen konfrontiert werden? Studien zeigen, dass Fehlinformationen sich verfestigen, besonders, wenn sie immer wieder von Gleichgesinnten gelesen und geteilt werden. Das Vertrauen in das politische System sinkt und demokratische Strukturen beginnen, Risse zu zeigen. Bots und Fake-Profile verschärfen diese Situation weiter, indem sie falsche Informationen verbreiten und Emotionen befeuern.
Populisten sind die Profiteure dieser Entwicklung. Sie nutzen digitale Medien geschickt, um ihre Botschaften mit einfachen und oft irreführenden Antworten an das Publikum zu bringen. Donald Trump und Jair Bolsonaro haben eindrücklich vorgeführt, wie sich Social Media für politische Zwecke instrumentalisieren lässt.

Neue Spielregeln für den digitalen Diskurs: Bildung und Transparenz gegen den Tunnelblick

Wann ist der richtige Moment, um eine neue Technologie zu regulieren? Sicher nicht mehr, wenn es schon zu spät ist. Schon jetzt, wo sich die technologische Entwicklung rasant beschleunigt, wird deutlich, wie wichtig die Verantwortung von Plattformen für die von ihnen kuratierten Inhalte ist. Der Bundesrat will im Dezember einen Entwurf für die Plattformregulierung vorlegen. Eines seiner zentralen Ziele: mehr Transparenz.

Neben regulatorischen Massnahmen braucht es auch Investitionen in die digitale und demokratische Bildung. Arendt würde wohl betonen, wie wichtig Medienvielfalt und unabhängiger Journalismus für eine direkte, föderale Demokratie wie die Schweiz sind. So soll gewährleistet werden, dass alle Gehör finden und echte Debatten möglich bleiben.

Hannah Arendts Einsicht, dass Demokratie nicht nur von Institutionen, sondern von einem gemeinsamen Wirklichkeitsverständnis und einem offenen Diskurs lebt, ist im digitalen Zeitalter noch wichtiger geworden. Plattformen und Medienhäuser sind in der Verantwortung, die Balance zu halten und im Sinne einer gesunden Demokratie zu verhindern, dass der Klick allein den Diskurs bestimmt.

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