Parldigi direkt: Wenn ein neues Gesetz ins Leere beisst
Themen: Kolumne, Medienmitteilung
Die Mitte-Nationalrat Dominik Blunschy schreibt in seiner Kolumne, wie die Digitalisierung der Sozialversicherungen gelingen kann. Heute ist der Papierweg noch vorgeschrieben.
Die „res publica digitalis“ ist unser aller Traum! In diesem können wir Bürgerinnen und Bürger staatliche Dienstleistungen digital abwickeln. Noch ist das schwierig – und zu den ganz hohen Hürden zählen dabei die Sozialversicherungen, die uns alle etwas angehen: Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder AHV sind Massengeschäfte. Milliarden von Franken werden für Millionen von Menschen bewegt. Jede Transaktion in der Sozialversicherung basiert auf dem Austausch von Daten. Dieser sollte natürlich elektronisch abgewickelt werden können.
Genau dies wollten auch die Ständerate Alex Kuprecht (SVP/SZ) und Esther Friedli (SVP/SG) mit der Motion eATSG (23.4041) sowie Nationalrat Thomas de Courten (SVP/BL) mit der Parallelmotion 23.4060 erreichen. Das Bundesgesetz über den „Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts“ (ATSG) verpflichtet die Sozialversicherungen in seiner heutigen Fassung in Kernbereichen zu einem Papierverfahren. Konkret geht es zum Beispiel um die Zustellung einer Verfügung, also eines verbindlichen Leistungsentscheides: Was heute nur auf Papier möglich ist, soll sich nun ändern.
Der Ständerat hat der Motion im Dezember 2023 mit 30 zu 11 Stimmen zugestimmt. Die nationalrätliche Kommission hat die Motion im Mai 2024 noch angereichert und will die Interoperabilität der Systeme gewährleisten und mit dem Verfahren in der Justiz (BEKJ) koordinieren. Auch gut: In beiden Fassungen werden endlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für den heute schon bestehenden digitalen Datenaustausch geschaffen.
Digitalisierung in den Sozialversicherungen ist eine rein regulatorische Frage
Drei Beispiele aus meinem Kanton:
- Die Ausgleichskasse Schwyz verarbeitet seit 24 (!) Jahren alle Versicherungsgeschäfte völlig papierlos. Aber sie muss jeden Tag rund 4000 Seiten Papier einscannen und tausende von Seiten ausdrucken und verschicken. Warum? Weil es das Bundesrecht so verlangt!
- Seit rund zehn Jahren können sich über zehntausend Schwyzer Firmen bei AHVeasy anmelden und eine kostenlose digitale Plattform nutzen, die ihnen alle Transaktionen erlaubt. Eine sichere Plattform steht zur Verfügung, darf heute aber nicht effizient für Versicherte genutzt werden. Bundesrecht verhindert das.
- Drei Wochen nach Einführung des Corona-Erwerbsersatzes (CEE) konnten die Selbständigerwerbenden und Firmen CEE in Schwyz völlig digital anmelden und abwickeln. Aus bundesrechtlichen Gründen mussten die Entscheide aber auf Papier ausgefertigt werden. Alle diese technischen Instrumente stehen nicht nur in Schwyz, sondern in der Mehrheit der Kantone zur Verfügung.
Völlig quer liegt nun aber die Gesetzesvorlage „BISS“ des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI). BISS ist das Kürzel für das „Bundesgesetz über Informationssysteme in den Sozialversicherungen“. Aber was draufsteht, ist nicht drin. Es geht im Kern nicht um alle Sozialversicherungen, sondern nur um wenige. Bei AHV und IV sollen neu nur noch Bundesangestellte entscheiden. Noch im Juni 2022 hatte das Bundesparlament genau das Gegenteil im Gesetz verankert, nämlich dass die Durchführungsstellen für die digitale Kommunikation verantwortlich sind. Mit BISS will das EDI ein sehr bewährtes System völlig umkrempeln. Die Durchführungsverantwortlichen sollten nicht mehr angehört werden. Funktionierende Plattformen sollen neu aufgebaut werden. Finanziert werden sollen 17 Technikprojekte des EDI ganz und gar aus dem AHV-Fonds. Soll der AHV-Fonds zu einem Selbstbedienungsladen von Bundesämtern werden? Bekanntlich ist kein Franken Bundesgeld im AHV-Fonds; er wird nur durch die Versicherten und ihre Arbeitgeber finanziert.
BISS erlitt Schiffbruch
BISS erlitt deshalb in der Vernehmlassung gelinde gesagt einen Schiffbruch. Die SVP lehnt die Vorlage integral ab. FDP und Die Mitte haben Bedenken. Doch nicht nur die drei bürgerlichen Bundesratsparteien haben Vorbehalte. Die Verbände des Gewerbes, der Wirtschaft und der Arbeitgeber sind ebenfalls dagegen. So auch die Verbände im Interesse der Versicherten, beispielsweise Pro Senectute Schweiz. Last but not least: 17 Kantone weisen das BISS zurück. Denn die Kantone setzen Bundesrecht um. So steht das eben in unserer Verfassung.
Für mich ist klar: Der Weg, den der Ständerat eingeschlagen hat, ist korrekt. Es ist richtig, dass der Bundesgesetzgeber die regulatorischen Rahmenbedingungen für das digitale Verfahren regelt. Und zwar eben durch eine Anpassung des Verfahrensrechts im ATSG. Digitalisierung und Föderalismus schliessen sich nicht aus.
Mit den Motionen eATSG haben wir eine gute Grundlage für unsere Arbeit in den Räten. BISS beisst ins Leere.
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